Financial Times Deutschland

Glück off im Steinkohlebergbau

Aus der FTD vom 11.11.2003 www.ftd.de/agenda
Agenda: Glück off im Steinkohlebergbau
Von Lorenz Wagner, Marl
Die Deutsche Steinkohle AG feiert den Steinkohletag. 400 Jahre will sie noch fördern. Ein Albtraum für Ökonomen. Inzwischen wehren sich auch die Menschen im Pott – die Kumpel verlieren ihre Heimat.

Ein Wachhund bellt. Muss ein großer Hund sein. Georg Porst lächelt. Er drückt das Eisentor auf und schlüpft hinein. „Hier steht meine Zeche – Ewald Fortsetzung“, sagt er mit Pomp in der Stimme. Vor ihm liegen: Kies, Unkraut, ein Bagger, das Schild „Abbrucharbeiten“ und Hunderte Meter Leere. Weit hinten rostet ein Förderrad vor sich hin.
Sonst ist alles weg: Gasometer, Stickstoffwerk, Kokerei, Schienen. „Für mich existiert die Zeche noch“, sagt Porst. Schweigen. Eine Minute steht er da, kaut auf der Unterlippe. Er hat einen kleinen Mund, der passt nicht zum Gesicht, zur Nase, zum Kinn. Ein Kindermund in einem Männergesicht.

„Dort stand Schacht 1“, sagt Porst und zeigt ins Nichts. „Er war das Wahrzeichen Erkenschwicks. Er war unsere Freiheitsstatue.“ 44 Jahre ist Porst alt, 22 Jahre arbeitete er auf Ewald Fortsetzung. Nun kommt er eben nach der Arbeit her. Oder wenn er frei hat. Er hat viel frei: 35 Tage Urlaub, 21 freie Tage, als Ausgleich, weil sie die Löhne nicht mehr erhöhen. Dann kommen „noch die Malaisen“ dazu, das Kreuz! Diabetes! „Ich habe erst 84 Tage in diesem Jahr gearbeitet.“ Aber er hat Hunderte Fotos geschossen. In 3D, „denn Bergbau ist ja was besonderes“. Er hat auch geknipst, als Schacht 1 gesprengt wurde. „Keiner hat sich drüber aufgeregt“, sagt er. „Die Menschen haben die Kohle aus den Köpfen gestrichen. Es wird ganz schwer, sie da wieder hineinzubringen.“ Genau das versucht die Deutsche Steinkohle AG, die DSK.

Am Dienstag feiert sie den Steinkohletag, das Motto: „Die Zukunft liegt unter uns.“ Erstmals seit 30 Jahren führt die DSK eine Werbeschlacht. 2Mio. Euro kostet die Kampagne, die DSK will noch 400 Jahre deutsche Steinkohle fördern. Ein Plakat zeigt zwei Männer auf einem Motorrad,ein er schießt mit einer Panzerfaust, daneben steht: „Wird hier gerade über unsere Energieversorgung entschieden? “

„Rettet die Kohle, baut sie nicht ab“
Ginge es nach Ökonomen, bliebe die Kohle die nächsten 400 Jahre im Boden, und noch länger, am besten so lange, bis sie zu Diamant geworden ist. „Rettet die Kohle, baut sie nicht ab“, fordert Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts. 3,3 Mrd. Euro Subventionen zahlt der Staat in diesem Jahr, 78.000 Euro für jeden Bergmann. Das ärgert sogar die Leute im Pott. „Die Stimmung ist völlig gekippt“, sagt Georg Porst. Leute, die früher für uns waren, stehen jetzt auf dem Marktplatz und sammeln Unterschriften gegen den Bergbau. Sie sollten einfach mal einfahren.“

Zeche Auguste Victoria, 1020 Meter unter Marl. Es ist kinodunkel. Schweiß rinnt. Dabei tun die Kumpel gar nichts. Die Walze steht still. Zehn Stunden am Tag läuft sie, 14 Stunden schweigt sie. Wird gewartet, oder im Flöz klemmt was. Am Dienstag streikt die Förderrakete. Nach einigen Minuten lebt die Walze wieder auf, zischt, faucht, wird zum Tier, halb Igel, halb Drache. Das Tier haut die Stacheln in die Wand, reißt der Beute das Fleisch heraus und speit es neben sich. Es knirscht und splittert, Staub in Ohren und Nasenlöchern. „Die Hitze, der Lärm, da hat man Freude dran“, sagt der Steiger Friedel, ein kleiner Mann mit viel Bauch und Brusthaar.

Eine Staubmaske braucht er nicht, er schnupft Tabak, Geschmack Menthol-Brombeere. „Das filtert.“ 46 Jahre ist er alt, seit 32 Jahren im Pütt. „Glück auf!“-rufend marschiert er durch Auguste Victoria. Besuch in der vergessenen Welt
Es ist eine versunkene Welt da unten, Schächte und Strecken laufen kreuz und quer, überall sind Rohre, es tropft und zieht, Förderbänder rattern, bedient von schwarzen Bergwesen mit Lampen auf dem Helm, man kann sie sich gar nicht bei Tag vorstellen, mit gewaschenen Ohren und weißem Kragen.

„Hier gehören wir hin“, sagt einer. Er beginnt Geschichten zu erzählen, „Klamotten! Die müsste man mal aufschreiben.“ Viele Mäuse leben in den Schächten. „Die haben wir platt gekloppt und den Kumpels aufs Butterbrot getan.“ Haha. „Und manchmal sind wir mittags schwarz ausgefahren und ab in die Kantine, bis zum nächsten Morgen, und dann wieder schwarz eingefahren.“ – „Aber die Arbeit ist gemacht worden. Wer saufen kann, kann auch arbeiten.“ „Wir sind eine Großfamilie“, sagt Georg Porst. „Hier waren auch Leute, die hätten woanders nie einen Job gekriegt. Die waren hier, sagen wir mal: untergebracht.“ Wer nicht konnte, aber wollte, der durfte eben den ganzen Tag die Werkstatt kehren. Das ist vorbei. Die Familie zerbricht. 600.000 Kumpel waren es in den 60er Jahren, 84.000 vor sechs Jahren, jetzt sind es 42.000. Zeche nach Zeche macht zu. „Wenn eine Zeche schließt, das ist, wie wenn du aus deiner Wohnung geschmissen wirst.“ Noch halten sie zusammen: die Tradition, die Gefahr. Obwohl so richtig gefährlich ist das alles nicht mehr. Manchmal knickt mal einer um, auf dem Weg nach oben. Fast vier Kilometer sind es in Auguste Victoria. „Von sieben Stunden Schicht arbeiten wir vier. Drei Stunden sind wir unterwegs oder ziehen uns um“, sagt ein Kumpel. Auch deshalb kostet es 140 Euro, Auguste Victoria eine Tonne Kohle zu entreißen. Der Weltmarktpreis liegt bei 45 Euro.
Die Kumpels vermissen den Respekt. Und das passt vielen Leuten nicht mehr.

„Alles in der Bevölkerung springt auf einmal auf dieses Geschimpfe an“, klagt Friedel. Die Menschen sind nicht mehr bereit, die Bergleute als Schoßkinder zu sehen, sie zu hätscheln und zu ehren, weil sie das Land wieder hochgebracht haben. Vor sechs Jahren, als die Kumpel noch um ihre Zechen kämpften, sprangen ihnen Hunderttausende zur Seite, mit Fackeln und Wurstsuppe. Am Dienstag ist da Gleichgültigkeit, Kälte, Neid, Wut. In einer Umfrage der Zeitung WAZ waren drei Viertel der Leser gegen den Bergbau. „Die Stimmung ist gedrückt“, sagt Friedel leise. „Wer weiß, was wird?“ Schweigen. Na ja, bald geht er in Rente, vielleicht mit 48 Jahren. In dem Alter gehen viele. Da werden Nachbarn und Bekannte ganz gelb vor Neid. „Oben werden wir angemacht: ,Was? So früh!‘“, erzählt Friedel. Feuer kommt in seine Stimme: „Ich sage den Leuten immer: ,Mensch, fahrt doch mal ein! Guckt es euch an! Wir sind nicht die Schmarotzer der Nation. Die Jahre hier hinterlassen Spuren.‘“

Und sie verändert die Landschaft. Der Ruhrpott ist durchlöchert wie eine Maulwurfswiese. Und Rainer Lenau würde am liebsten alle Bergleute sofort in Rente schicken. Er sitzt im Auto, rund 50 Kilometer von Marl entfernt, in Walsum, einem Ort vor Duisburg. Lenau ist ein Muster an Großvaterbart und Altersmilde. Aber spricht er über die Gruben, wird sein Blick fest, die Stimme scharf: „Es reicht!“, ruft er. „Unser Frust ist riesengroß.“ Das Auto rollt am Rhein entlang, vorbei an Dörfchen und Deichen, Kopfweiden und Steinkäuzen, und Lenau erklärt im Ton eines Fremdenführers, was die Zeche Walsum so anstellt: „Da werden wieder drei Häuser abgerissen“- „Dort stehen sieben Pumpen im Keller“ – „Hier rammen sie stützende Spundwände in den Deich.“

Sieben Meter in dreißig Jahren Zwischenstopp im „Haus Stapp“, bei Dinslaken. Der Wirt kramt eine Postkarte hervor: seine Terrasse in den 70er Jahren. Die Gäste gucken auf den Rhein. Heute sehen sie nur noch den Deich, 28 Treppenstufen hoch. „Wir sind sieben Meter abgesackt“, klagt der Wirt. „Es wird keinen Konsens mehr geben!“, verspricht Lenau. Er hat eine Bürgerinitiative gegründet. Tausende Menschen aus Duisburg, Dinslaken und Voerde folgen ihm, haben 13.500 Einwendungen und 9100 Anträge eingereicht. „Es laufen sieben Klagen, auch der Stadt Dinslagen und des Landkreises Wesel.“ Es brodelt. „Erstmals wehren sich die Leute, die hier aufgewachsen sind, gegen die Kohle“, sagt Horst Vöge, SPD-Chef des Kreises Wesel. „Viele Leute sind aus dem Pott hergezogen, um Natur zu haben. Die wollen mit Bergbau nichts mehr zu tun haben.“ Auch die Lokalzeitungen seien gegen Bergbau „Die verlieren lieber die Abos der Kumpel. Die sind in der Minderheit.“ Lange hatten die Geschädigten den Mund gehalten. „Die haben uns still gekauft“, sagt einer. „Die geben dir einen Wert, also, vom Verkehrswert hätte ich das nicht gekriegt.“ Allein für sein Grundstück boten sie ihm 200.000 Euro. Es liegt neben einem offenen Kuhstall mit 90 Kühen und 134.746 Schmeißfliegen. „Da fragt man sich doch:`Sind die bescheuert?‘“ Die fetten Jahre sind vorbei Aber die fetten Jahre sind vorbei. Die DSK fange an rumzuzicken, klagt ein Dorfbewohner. Fordere Gutachten, zöge eher vor Gericht. Und die Leute schlagen zurück, trauen sich, was die Saarländer schon lange tun: Sie rebellieren! An der Saar geht es schon hart zu: In einem kleinen,
grubengeschundenen Dorf verkaufe der Bäcker keine Brötchen mehr an Frauen von Bergleuten, erzählt ein Grubler. Oft blockieren Demonstranten die Zufahrtsstraßen. „Der Chef hat uns gesagt, wir sollen dann wieder nach Hause fahren. Nur keinen Streit riskieren!“ Die Kumpel sind vorsichtig geworden. „In manchen Orten verrät man besser nicht, dass man auf der Grube arbeitet.“ Das verschweigt man besser auch in Götterswickerhamm am Niederrhein.

Bald will die DSK auch unter dem Dorf fördern. „Wissen Sie, wie das ist, wenn unten die Schächte einbrechen?“, fragt ein Einwohner. „Das ist ein Überschallknall, da wackeln die Mauern.“ Vor allem fürchtet er, der Deich könne bersten. In der Hauptstraße hängt ein Schlauchboot und das Schild Bootsverleih. Die Luft ist aus dem Boot. „Da haben Bergleute mit dem Messer reingestochen“, sagt Lenau. Fakten statt Romantik Auch in Erkenschwick geht es nicht mehr friedlich zu. „Die mit ihren Unterschriften. Ich könnte die umhauen“, sagt Georg Porst. Er fährt im Auto durch die Stadt. „Aber das bringt nichts. Man muss den Hausbesitzern mit energiepolitischen Zahlen kommen.“ Porst redet los, er quillt schier über, seine Worte brechen mit der Tradition, sprechen nicht von Maloche und Verdiensten; nein, Georg Porst, der Romantiker, der auf seiner Homepage www.abenteuer-bergbau.de in Grubenlyrik fordert, „dass Treue man wieder mit Treue bedenkt – nicht vergisst, was der Schoß der Erde uns schenkt „, dieser Mann greift nun nach „knallharten Fakten“. Er rechnet vor: Subventionen – (Steuern + Sozialabgaben), geteilt durch alle Bürger, das macht pro Nase 20 Euro im Jahr, also 1,60 Euro im Monat! Porst legt Ernst in seine Stimme: „1,60 Euro für Energiesicherheit. Dazu ist ja wohl jeder bereit.“ Die Fahrt geht vorbei an grauen, kastigen Häusern, alle gleich, man könnte sie stapeln, Wohnzimmer über Wohnzimmer, Küche über Küche, Fußmatte über Fußmatte. „Früher wurde hier gefeiert, waren immer Kloppereien.“ Und der alte Erich hat mit der Sense gemäht. Porst zeigt auf weiße Tupfer. Neubauten! „Unser Revier ist verschwunden.“

Die Kumpel haben sich gewehrt. „Die haben die Neuen geärgert, Rabatz gemacht, Zäune umgekippt.“ Der Streit schwelt. Eines aber haben dieGegner gemeinsam: Keiner heizt auf Kohle. Auch Porst hat eine Gasheizung. „Wurde vom Staat gefördert. Und ist bequem.“ Pause. Er guckt weg. „Die Zeit mit den Kohleöfen, das ist doch jetzt vorbei.“

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